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Allgemein Barrierefrei Experten-Interview Generationengerecht Pflege Wohnberatung
17. August 2023

Bundesweit bieten Wohnberatungen Unterstützung an

Interview mit Markus Heberle

(dh-abb) Mit zunehmendem Alter kommt es häufig vor, dass die Wohnung oder auch nur das Badezimmer nicht mehr den veränderten Bedürfnissen gerecht wird. Umgestaltungen werden für den Verbleib in der vertrauten Umgebung nötig. Wohnberatungsstellen bieten bei diesem Prozess ihre Unterstützung an.

Zu diesem Angebot haben wir Markus Heberle von der Wohnberatung LongLeif LIVING PLUS für den Landkreis Garmisch-Partenkirchen und Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsanpassung e.V. – ein Zusammenschluss der Wohnberater und Wohnberatungsstellen in Deutschland – interviewt.

Aktion Barrierefreies Bad: Herr Heberle, Sie sind Projektleiter bei LongLeif LIVING PLUS. Was macht eine Wohnberatung wie Ihre?

Markus Heberle: Wir gehen zu den Ratsuchenden nach Hause, schauen uns das Wohnumfeld an und zeigen auf, wo und wie man Barrieren abbauen kann. Auch im Hinblick auf Fördermöglichkeiten geben wir Auskünfte und Hilfestellungen.

Kostet eine Wohnberatung Geld?

Heberle: In der Regel ist sie kostenfrei und neutral.

Wo sind Wohnberatungen zu finden?

Heberle: Oft bekommen Ratsuchende Kontaktinformationen bei den Kreis-, Stadt- und Gemeindeverwaltungen. Auch auf der Internetseite der Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungsanpassung e.V. sind die Kontaktdaten für Wohnberatungen bundesweit aufgelistet.

Wer sucht bei Ihnen Rat?

Heberle: Überwiegend sind es die Angehörigen. Immer wieder nehmen aber auch die Betroffenen selbst Kontakt mit uns auf. Daneben kommen Seniorengruppen, Pflegeschulen und Bauträger auf uns zu.

Mit welchen Themen bzw. Problemen wenden sich die Klienten an Sie?

Heberle: 65 Prozent der Ratsuchenden empfinden, dass das Badezimmer die größten Barrieren in ihrem Zuhause birgt. Das Thema „bodengleiche Dusche ersetzt die Badewanne“ wird häufig als erste Maßnahme in Angriff genommen. Bei 80 Prozent hängt dieser Umbau jedoch davon ab, ob Fördermöglichkeiten genehmigt werden.

Am zweithäufigsten geht es um Höhenüberwindungen, wie z.B. ein Treppenlift, gefolgt von Handläufen und Möbelerhöhungen.

Professionelle Beratung eines älteren Ehepaars in der Musterwohnung.
LongLeif LIVING PLUS bietet Wohnberatung nicht nur für Seniorinnen und Senioren an. Von der professionellen, kostenfreien Unterstützung profitieren generell alle Menschen mit Behinderungen oder körperlichen Beeinträchtigungen im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Foto: © Philipp Gülland / LongLeif GaPa gGmbH

Ihrer Wohnberatung ist auch eine AAL-Musterwohnung angegliedert. Was kann man sich darunter vorstellen und welches Angebot können Sie Ihren Klienten dort machen?

Heberle: Unsere Musterwohnung LIVING PLUS wurde 2019 eröffnet und zeigt die vielfältigen Möglichkeiten beim barrierefreien Wohnen einschließlich Ambient Assisted Living (AAL) auf. AAL wird auch als „Alltagsunterstützende Assistenzlösungen für ein selbstbestimmtes Leben“ bezeichnet. Diese Techniken und Technologien können auf den einzelnen Menschen individuell zugeschnitten und in die Wohnung integriert werden, um sein Leben situationsabhängig zu unterstützen. Unsere Musterwohnung beinhaltet alle Wohnbereiche: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Flur und Bad. Ziel ist es, unsere Besucher zu inspirieren und davon zu überzeugen, dass barrierefreies Wohnen nichts mit „Pflegeheim-Charakter“ zu tun hat. Von daher präsentieren wir Produkte und Lösungen, bei denen der wohnliche Charakter erhalten bleibt. Jeder Mensch sollte sich Zuhause wohlfühlen. Nur wenn das gewährleistet ist, erreichen wir Akzeptanz.

Foto der Musterwohnung
In der Garmisch-Partenkirchener Musterwohnung werden verschiedene Raum- und Möbelanpassungen sowie spezielle technische Assistenzsysteme (AAL) gezeigt. Dazu gehören z.B. steuerbare Lichtsysteme, technikgestützte Sturzmelder oder automatische Herdabschaltungen. Foto: © Philipp Gülland / LongLeif GaPa gGmbH
Gibt es auch in anderen Städten Wohnberatungen mit Musterwohnungen?

Heberle: Es gibt bundesweit eine Vielzahl an Musterwohnungen. Wo solche in Wohnortnähe zu finden sind, können die Wohnberatungsstellen der Gemeinden beantworten. Auch die BAG Wohnanpassung e.V. erteilt Interessierten diesbezüglich gern Auskunft.

Haben die Klienten für gewöhnlich schon einen Pflegegrad oder einen Grad der Behinderung oder müssen diese noch beantragt werden?

Heberle: Oft haben unsere Klienten bereits einen Pflegegrad oder Grad der Behinderung. Voraussetzung für unsere Tätigkeit ist es aber nicht.

Gibt es Zuschüsse, z.B. für den Badumbau?

Heberle: Ja, Personen mit Pflegegrad können bei der Pflegekasse einen Zuschuss beantragen. Auch geben Sozialministerien der Länder für barrierefreie Umbaumaßnahmen Zuschüsse. Die Höhe ist jedoch länderspezifisch unterschiedlich. Darüber hinaus bietet die KfW Förderungen an.

Foto vom Badezimmer in der Musterwohnung
Das Badezimmer der Musterwohnung zeigt Beispiele für mögliche Anpassungen: Höhenverstellbares Waschbecken, Duschwand mit beweglicher Duschsäule, höhenverstellbare Toilette als Dusch-WC. Foto: © Philipp Gülland / LongLeif GaPa gGmbH
Helfen Sie bei Behördengängen oder Antragstellungen?

Heberle: Ja, wir beraten und begleiten unsere Klienten bei Antragstellungen und Behördengängen.

Welche Voraussetzungen müssen für Zuschüsse der Pflegekasse oder eine staatliche Förderung erfüllt sein?

Bei der Pflegekasse gibt es schon ab Pflegegrad 1 den Zuschuss für sogenannte „Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen“. Verschlechtert sich der körperliche und gesundheitliche Zustand der Person und weitere Maßnahmen sind nötig, kann dieser Zuschuss auch öfter in Anspruch genommen werden. Beantragt werden muss er bei der jeweils zuständigen Pflegekasse. Bei der staatlichen Förderung ist meist ein Grad der Behinderung ab 50 Prozent Voraussetzung. Das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ jedoch knüpft keine Bedingungen an die Person und richtet sich an alle Menschen, die Barrieren in ihrer Wohnung reduzieren und mehr Wohnkomfort schaffen wollen. Grundsätzlich gilt, Baumaßnahmen immer vor Beginn mit der zuständigen Stelle zu klären und anschließend dort zu beantragen.

Wie hoch sind die Zuschüsse?

Bei den Pflegekassen beläuft sich der Zuschuss bis 4.000 € je Person und Maßnahme. Bei den staatlichen Förderungen ist es länderspezifisch unterschiedlich. Auch die KfW hat Förderprogramme, die verschieden hinsichtlich Konditionen und Verfügbarkeit sind.

Am besten klärt man mögliche Ansprüche immer mit dem Wohnberater. Er kennt sich auch bei Förderprogrammen bestens aus und kann die Klienten mit den richtigen Informationen ausstatten.

Wie kann man den Zuschuss für die von Ihnen erwähnten „wohnumfeldverbessernden Maßnahmen“ der Pflegekasse erhalten?

Für die Beantragung kann das entsprechende Formular der zuständigen Pflegekasse genutzt werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, einen formlosen Antrag zu stellen, der folgende Angaben enthält:

  • Name, Adresse, Geburtsdatum und Versichertennummer des Pflegebedürftigen,
  • Begründung:
    • die häusliche Pflege wird überhaupt erst ermöglicht oder
    • die häusliche Pflege wird erheblich erleichtert und damit eine Überforderung der Leistungskraft des Pflegebedürftigen und des Pflegenden verhindert oder
    • eine möglichst selbstständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wird wiederhergestellt und damit die Abhängigkeit von dem Pflegenden verringert,
  • Benennung der vorgesehenen Maßnahme,
  • Begründung, warum die bisherigen baulichen Verhältnisse nicht ausreichend sind,
  • Aussage über die voraussichtlichen Gesamtkosten:
    • noch nicht bekannt oder
    • Nennung des Betrags und Beifügen des Kostenvoranschlags,
  • Auskunft, ob es sich bei der Immobilie um Eigentum oder ein Mietobjekt handelt und
  • Angabe, ob eine oder mehrere Pflegebedürftige in der Immobilie leben.

Ich empfehle, das Verfahren vorher mit der zuständigen Pflegekasse abzuklären.

Wie oft wird dieser Zuschuss von Ihren Klienten für einen Badumbau in Anspruch genommen?

Nach unserer Beratung wird er zu über 90 Prozent genutzt.

Was wird im Bad meistens verändert?

Wie bereits erwähnt, meist „bodengleiche Dusche ersetzt Badewanne“, WC-Haltegriffe oder sogar immer häufiger die Anschaffung eines Dusch-WCs.

Arbeiten Sie auch mit Handwerksunternehmern, Großhändlern oder Architekten zusammen?

Handwerksbetriebe empfehlen wir gerne weiter, wenn sie folgende Kriterien erfüllen: Sensible und bedarfsgerechte Beratung sowie Verlässlichkeit einschließlich termingerechter Ausführung.

Es kommt auch immer wieder vor, dass uns Architekten aufsuchen, damit wir ihre Pläne hinsichtlich „Seniorenfreundlichkeit“ und „Barrierereduzierung“ überprüfen und sie ggfs. auf wichtige „Kleinigkeiten“ hinweisen.

Neulich war ich beispielsweise auf einer Baustelle, um die Ausführungen eines Architekten anzuschauen. Weil wirklich alles perfekt war, wunderte ich mich. Vom Architekten erfuhr ich dann, dass dies nur deshalb so gut gelungen sei, weil er bei der Planung eine Pflegerin an seiner Seite hatte.

Haben Sie Netzwerke / runde Tische zwecks Austauschs mit Handwerkern, Architekten, Pflegediensten?

Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Tätigkeit, der Aufbau und die Pflege eines Netzwerkes mit Handwerksbetrieben, Architekten und Behörden. Außerdem nutzen wir Physio- und Ergotherapeuten, Mitarbeiter der ambulanten Pflegedienste sowie Pflegeschüler als Multiplikatoren für unsere Arbeit.

Muss die Politik mehr tun, um die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren bzw. mit Zuschüssen den Badumbau attraktiver zu machen?

Wir sind durch die örtliche Nähe zu Österreich im Austausch und stellen fest, dass wir im Hinblick auf Fördermöglichkeiten in Deutschland im Vergleich zu Österreich gut aufgestellt sind. Wir sollten jedoch viel mehr Aufklärung betreiben und die Dienstleistungen der Wohnberater mehr kommunizieren sowie erklären. Die Menschen müssen erfahren, dass wir die Ratsuchenden so lange begleiten, bis alle Umbaumaßnahmen erledigt und die Förderungen geflossen sind. Und dass wir auch an die pflegenden Angehörigen denken und sie bei Prozessen begleiten und unterstützen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Heberle.

Unser Aufmacherfoto zeigt Markus Heberle: © Philipp Gülland / LongLeif GaPa gGmbH