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Allgemein Barrierefrei Experten-Interview
4. Juli 2017
Interview mit der Ärztin, Beraterin und Dozentin, Dr. Stefanie Gurk

Was bedeutet Barrierefreiheit im Bad?

Interview mit Dr. med. Stefanie Gurk

(dh-abb) Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Barrierefrei“ und wie wirkt sich der Bedarf verschiedener Nutzergruppen auf die Ausstattung im Bad aus?

Hinter dem Begriff „Barrierefreiheit“ verbirgt sich die DIN 18040, die viele Vorteile für Menschen in verschiedenen Lebenssituationen birgt. So zum Beispiel auch für Menschen mit Kinderwagen oder Gepäck. Und für das Bad drückt sich Barrierefreiheit bei Weitem nicht nur durch die bodenebene Dusche aus.

Was sich genau hinter dem Begriff „Barrierefrei“ verbirgt und wie sich der Bedarf verschiedener Nutzergruppen auf die Ausstattung im Bad auswirkt, haben wir Dr. Stefanie Gurk gefragt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin ist Mitglied der Gesellschaft für Geriatrie und seit mehr als 20 Jahren als Beraterin und Dozentin im Bereich „Wohnen und Leben im Alter“ tätig.

Aktion Barrierefreies Bad: Wir hören in letzter Zeit immer öfter, dass nicht immer Barrierefreiheit drin ist, wenn Barrierefreiheit draufsteht.
Mit Ihrer Hilfe, Frau Dr. Gurk, möchten wir gern näher beleuchten, was genau unter dem Begriff zu verstehen ist und wie die DIN den verschiedenen Nutzergruppen wichtige Orientierung bieten kann.
Frau Dr. Gurk, bevor wir auf die Anforderungen bestimmter Personenkreise eingehen, würde uns zunächst interessieren, welche Grundausstattung im Bad aus Ihrer Sicht allen Nutzern Vorteile bringt?

Dr. Stefanie Gurk: Als Grundausstattung im Sinne eines Badstandards sollte der schwellenfreie Zugang umgesetzt werden. Wobei der Komfort und die Ästhetik nicht vergessen werden sollten, damit ich mich in meinem barrierefreien Bad auch richtig wohlfühle.

Sichere Zugänge heißt aber auch, Stolperfallen und Barrieren für das Auge schnell erkennbar zu machen, indem ich diese bewusst sichtbar mache.

Zum Badstandard sollte auch gehören, dass die Toilettenhöhe ohne großen Aufwand verändert werden kann. Davon kann auch der Nachwuchs profitieren, der einem vielfach „über den Kopf“ wächst.

Eine vorausschauende Badplanung integriert Systeme in die Wände, die zum Beispiel Griffe unkompliziert anbringen lässt.

Mit dieser Grundausstattung – mit dieser Standardausstattung – lässt sich das Bad im Krankheits- und/oder Pflegefall schnell mit notwendigen Hilfsmitteln nachrüsten, sodass die selbstständige Alltagsgestaltung unterstützt wird.

Die Norm geht explizit auf verschiedene Nutzergruppen ein. So auch auf Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen.
Können Sie uns bitte sagen, worauf diese Menschen beim Um- oder Neubau ihres Badezimmers achten müssen?

Dr. Gurk: Um unseren Alltag zu gestalten, nehmen wir über unsere Sinnesorgane ständig Informationen auf. Menschen mit einer Seh- oder Höreinschränkung haben jeweils einen Aufnahmekanal weniger. Deshalb empfiehlt die DIN 18040, Informationen immer über zwei Kanäle anzubieten: das Zwei-Sinne-Prinzip.

Blinde Menschen ertasten ihr Umfeld zum Beispiel mit dem Langstock über Leitstrukturen im Boden oder anhand der sogenannten Brailleschrift (Blindenschrift), die auf vielen Gegenständen zu finden ist. Beispielsweise kann auf Armaturen so ein Hinweis in Bezug auf heißes und kaltes Wasser gegeben werden.

Menschen mit einer Hörbehinderung bedienen sich optischer/visueller Informationen. Eigentlich gibt es in der Badausstattung keine Besonderheit. Es gibt allerdings eine grundsätzliche Empfehlung für die Wohnungsausstattung. Akustische Signale werden nicht mehr wahrgenommen: kein Telefonklingeln, kein Weckerklingeln auch nicht das Klingeln an der Wohnungstür. Das Vibrieren des Telefons oder die sichtbare Information der Lichtklingel können den Klingelton ersetzen.

Jetzt haben aber Personen beispielsweise nach einem Schlaganfall ganz andere Bedürfnisse, wenn sie vielleicht ihren Arm nicht mehr richtig nutzen können.
Worauf sollten Menschen mit motorischen Einschränkungen achten?

Dr. Gurk: Wenn die Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist, unterstützt die Schwellenfreiheit in vielen Bereichen die selbstständige Alltagsgestaltung. Stützgriffe und Handläufe oder ein Duschsitz sind sinnvolle Unterstützungs- und Sicherheitssysteme. Für Menschen, die nur noch einen Arm zur Verfügung haben, sollte an zusätzliche oder flexible Ablageflächen gedacht werden.

Gerade Menschen mit Bewegungseinschränkungen müssen sich regelmäßig bewegen, um die Restbeweglichkeit zu behalten. Wer sich bei der Bewegung sicher fühlt, der bewegt sich gerne. So lassen sich auch Stürze vermeiden. Vielfach habe ich gehört, dass Menschen es bedauert haben, dass sie bestimmte Bequemlichkeiten erst so spät nachgerüstet haben. Viel besser sei es, sich diesen Komfort so früh wie möglich zu gönnen.

Wenn wir an Badezimmernutzer mit Mobilitätshilfen oder Rollstühlen denken, ist klar, dass Schwellenfreiheit hier unabdingbar ist.
Was ist für diesen Personenkreis außerdem noch wichtig?

Dr. Gurk: Rollstuhlfahrer können sich selbstständig bewegen, wenn die Türbreiten ausreichend sind. Gerade im Badezimmer sollte bedacht werden, dass ein Rollstuhl einen größeren Bewegungsradius und damit einen erhöhten Platzbedarf hat. Die Bewegungsflächen sind nachträglich nur sehr schwer herzustellen. Deshalb ist es wichtig, schon bei der Badplanung diese Nutzung etwa im Bereich der Toilette und im Duschbereich zu berücksichtigen.

Menschen, die im Bad sitzend agieren, haben andere Greifradien, d. h. sie benötigen Aufbewahrungsmöglichkeiten, die auf die individuellen Möglichkeiten des Nutzers abgestimmt sind. Dies gilt beispielsweise für die Erreichbarkeit von Regalen und Schränken oder auch Handtuchhaltern.

Die DIN berücksichtigt auch Extreme und will dazu beitragen, dass Großwüchsige nicht in einer zu kleinen und Kleinwüchsige nicht in einer zu großen Welt leben müssen.
Wie können solche Anforderungen in der Praxis bewältigt werden?

Dr. Gurk: Bei der Gestaltung und Planung von Bädern oder auch anderen Lebensbereichen wird auf Körpermaße und damit Messgrößen zurückgegriffen, die durch eine eigene wissenschaftliche Disziplin, die Anthropometrie, erhoben worden sind. In diesem Zusammenhang werden Menschen als großwüchsig bezeichnet, wenn sie zu den 3 Prozent derjenigen gehören, die die höchsten Körpergrößen haben. Momentan gelten Frauen, die größer als 1,83 m sind, und Männer, die größer als 1,95 m sind, als großwüchsig.

Auch bei kleinwüchsigen Menschen gilt eine ähnliche Definition: Die 3 Prozent der Menschen, die die geringsten Körperlängen haben, gelten als kleinwüchsig, was für Frauen eine Körpergröße unter 1,50 m und für Männer unter 1,65 m bedeutet.

Bei dieser Definition ergibt sich, dass bei der Gestaltung flexible Höhen bzw. Tiefen eine wichtige Rolle spielen, beispielsweise von Sanitärobjekten wie Waschbecken oder auch Toiletten.

Großwüchsige Menschen benötigen andere Türhöhen, und für kleinwüchsige Menschen bedarf es bezüglich der Erreichbarkeit u. a. von Lichtschaltern, Schränken oder des Duschkopfes entsprechende Höhen.

Mit der Neufassung der DIN im Jahre 2011 wurden auch kognitive Einschränkungen mit aufgenommen.
Dies trägt nicht zuletzt auch der Entwicklung Rechnung, dass sich die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen in den letzten Jahren deutlich erhöht hat und sich bis zum Jahr 2050 voraussichtlich verdoppeln wird.
Welche Empfehlungen können Sie für diese Personengruppe geben?

Dr. Gurk: Zunächst einmal sollten auch hier die bereits erläuterten Empfehlungen der DIN umgesetzt werden. Wichtig sind zusätzlich Orientierungshilfen wie Beschriftungen oder Bilder an den Türen, gut lesbare Uhren und Kalender, ein Lichtkonzept und ein bewusst gewähltes Farbkonzept.

Wenn die demenzielle Erkrankung fortschreitet, wird es für den Betroffenen zunehmend schwieriger, seine Umwelt zu verstehen, sodass zum Beispiel der Blick in den Spiegel und das eigene Spiegelbild ebenso wie Lichtspiele oder Schattenbildung angstauslösend sein können. Angstabmildernd sind hier somit besondere Lichtsysteme, die eine Schattenbildung vermeiden bzw. eine individuelle Gestaltung, die sich an den Dingen orientiert, die für den Einzelnen noch eine Bedeutung haben und auf andere Einrichtungsgegenstände wie den Spiegel verzichtet.

Der demografische Wandel stellt für Architekten, Planer und Installateure eine große Herausforderung dar, denn gemäß den Berechnungen des Forschungsinstituts Prognos werden allein bei den über 65-Jährigen mit Mobilitätseinschränkungen bis zum Jahr 2030 rund 3,6 Millionen altersgerechte Wohnungen benötigt.
Die staatliche Förderbank KfW unterstützt mit dem Programm „Altersgerecht Umbauen“ entsprechende Aktivitäten von privaten Bauherren durch einen Zuschuss.
Welche Ausstattung im Bad halten Sie für ältere Menschen für wichtig?

Dr. Gurk: Ganz oben steht für mich die Badgestaltung, die dem Nutzer ein gutes und sicheres Gefühl bei der Nutzung seines Bades vermittelt. Durch eine gute Badplanung, die sich durch Schwellenfreiheit, ein durchdachtes Lichtkonzept und einen sicheren Zugang zu den Sanitärobjekten auszeichnet, können Stürze vermieden werden. Gleichzeitig gewährleistet ein solches Bad ein Höchstmaß an Selbstständigkeit auch bei körperlichen Einschränkungen.

Beim Umbau sollte ebenfalls daran gedacht werden, dass eine Betreuungs- oder Pflegeperson für die Unterstützung des Einzelnen ebenfalls einen gewissen Raumbedarf hat.

Da beim Umbau auf die Örtlichkeit Rücksicht genommen werden muss, sollte die individuelle Ausgestaltung des altersgerechten Bades mit der Fachfrau / dem Fachmann vor Ort im Detail besprochen werden.

Ältere Menschen und Kinder haben gemein, dass bei ihnen das Sturzrisiko besonders hoch ist. Also profitieren gerade auch Kinder von Schwellenlosigkeit im Bad.
Sie haben aber bestimmt noch andere Tipps für Eltern, wenn es darum geht, das Bad kindgerecht zu gestalten.

Dr. Gurk: Kindgerecht bedeutet altersgerechte Badgestaltung. Wiederum steht auch hier die Sicherheit bei der Badnutzung für mich ganz oben, um Verletzungen zu vermeiden. Schwellenlose Zugangsmöglichkeiten unterstützen die Selbstständigkeit, keine scharfen Ecken und Kanten oder eine Armatur mit einem Temperaturbegrenzer, um Verbrühungen zu vermeiden. Wie lassen sich das Waschbecken und die Toilette sicher erreichen? Im Idealfall könnten die Sanitärobjekte auf die kindgerechte Höhe runtergefahren werden.

Gemeinsam mit dem Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) haben Sie die Weiterbildungsmaßnahme „Fachbetrieb barrierefreies Bad“ entwickelt und unterrichten seit vielen Jahren SHK-Handwerker.
Von welchen Problemen berichten Ihnen Installateure beim Bau von barrierefreien oder altersgerechten Bädern?

Dr. Gurk: Die Handwerker berichten darüber, dass vielfach der Badumbau aufgrund eines akuten Krankheitsereignisses initiiert wird. Häufig muss dann in kürzester Zeit ein Umbau realisiert werden, was Probleme als solches aufwirft. Andererseits kann der spätere Nutzer häufig keinen Einfluss auf die Gestaltung nehmen, da die Krankheit das nicht zulässt, was nicht selten zu Akzeptanzproblemen bezüglich des neu gestalteten Bades führt. Deshalb mein Appell, den Badumbau zu dem Zeitpunkt zu realisieren, wenn man noch alles selbst bestimmen und sein Wohlfühlbad bewusst gestalten kann.

Abschließend würden wir Sie als Ärztin gerne noch fragen, wie wichtig das Thema „Hygiene“ im Privatbereich ist und wie die Badausstattung die Körperhygiene unterstützen kann.

Dr. Gurk: Körperhygiene dient ja dazu, dass wir unsere Gesundheit erhalten und Krankheiten vermeiden. Bei mangelnder Körperhygiene können Erkrankungen an der Haut wie Pilzinfektionen oder auch im Zahnbereich wie Karies entstehen. Die Badgestaltung sollte daher so sein, dass ich meine Körperpflege möglichst selbstständig und/oder mit Unterstützung durchführen kann. Gerade die Intimpflege ist ein sensibles Thema; hier kann beispielsweise ein Dusch-WC eine Unterstützungsmöglichkeit darstellen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Gurk.

Foto Dr. Stefanie Gurk: © Fotostudio Christian Kaufels